Mild im Geschmack
Der weiße Spitzkohl ist eine besondere Variante des gleichfarbigen runden Kopfkohls. Allerdings besitzt er feinere Blattrispen, zartere Blätter und – wie gesagt – einen milderen Geschmack. Ob er durch Mutation entstand oder durch Züchtung, blieb bisher im Dunkeln.
Schon in der Antike beliebt
Tatsache ist dagegen, dass bereits die antiken Hochkulturen den Kopfkohl kannten und um seine Heilkraft wussten. Der griechische Philosoph Aristoteles beispielsweise aß das Gemüse, um die Auswirkungen übermäßigen Alkoholgenusses zu mildern. Und der römische Staatsmann Cato hielt es sogar für ein probates Mittel gegen die Pest. Er empfahl aber auch die Wundheilung durch Auflegen von Kohlblättern – eine Methode, die sich bis ins 19. Jahrhundert hielt.
Traditioneller Anbau im “Ländle”
Aus dieser Zeit stammt auch die älteste Abbildung eines Spitzkohls, die ich während meiner Kohlrecherche entdeckte. Sie wurde 1876 in einem Katalog der Erfurter Saatgutfirma Ernst Benary veröffentlicht und dort mit dem Begriff „Spitzes Filderkraut” bezeichnet. Diese Benennung des Spitzkohls geht auf ein traditionelles Anbaugebiet in der Nähe von Stuttgart zurück – die Fildern. Dort, auf einer fruchtbaren Hochebene, wird seit über 500 Jahren Kohl angebaut. Sogar ein Denkmal rühmt die regionale Spezialität.
Anbau einst gefährdet
Den Wert der spitzen Variante des Filderkrauts beschrieb übrigens erstmals 1772 der Bernhäuser Pfarrer Bischoff: „Was das weiße Spitzkraut besonders geschätzt macht, ist seine feine Zartheit in den Blättern und überhaupt ein besserer Wohlgeschmack, worin es sich von dem in anderen Gegenden Gepflanzten auszeichnet.” Dennoch wurde mit der Industrialisierung der Gemüseverarbeitung im 19. Jahrhundert auf den Fildern (und nicht nur dort) immer weniger Spitzkohl angebaut. Die Konservenindustrie verlangte runde Köpfe, die sich maschinell besser verarbeiten ließen. Die Folge: Die Anbaufläche von Spitzkohl sank auf den Fildern auf bescheidene 40 Hektar.
In der Arche des Geschmacks
Um es vor dem endgültigen Aussterben zu bewahren, holte Slow Food das Filder-Spitzkraut 2005 in seine Arche des Geschmacks. Es wurde gerettet, und auch in anderen Regionen wächst inzwischen wieder mehr Spitzkohl. Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Bayern sind neben Baden-Württemberg die größten deutschen Kohlanbauer. Gemessen an dem, was unsere Nachbarn kultivieren, sind die 1.200 Hektar, auf denen in Deutschland das Gemüse angebaut wird, allerdings Peanuts. Die Weißkohl-Anbaufläche insgesamt beträgt hierzulande übrigens rund 5.600 Hektar.
Vielseitig und modern
Und so handeln wir neben heimischer Ware auch Spitzkohl aus den Niederlanden und Frankreich. Tendenz steigend. Das hat – ich habe anfangs schon darauf hingewiesen – damit zu tun, dass sowohl das Kohlgemüse im Allgemeinen als auch der Spitzkohl im Besonderen ihr muffiges Image zunehmend ablegen. Jüngere Köche kennen die Abneigung ihrer kulinarischen Väter gegenüber jeglicher Art Kohl nicht. Sie interpretieren das Gemüse neu. Und ihre Gäste sind überrascht, wie vielseitig und modern eben auch der Spitzkohl sein kann.
Variantenreiche Zubereitung
Ich erinnere mich zum Beispiel gut an einen Klassiker meines Freundes Thomas Kammeier. Der servierte vor Jahren im Restaurant Hugos eine Brandenburger Landente mit Holunderbeeren und Spitzkohl. Neueren Datums ist ein Gericht, das ich im Café im Literaturhaus in der Fasanenstraße probiert habe. Gepökeltes Eisbeinragout, Jakobsmuschel, Petersilienwurzel, Spitzkohl und Mango-Chutney ergaben einen Mix, der für mich absolut stimmig war. Ja, was bleibt noch? Natürlich Kimchi. Als Fan der asiatischen Esskultur liebe ich die scharfe koreanische Kohlzubereitung ganz besonders, auch wenn sie für europäische Geschmacksnerven vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig ist. Und auch dem Barbecue-must have, dem Coleslaw, kann ich durchaus etwas abgewinnen. Am besten mit einer leichten Mayonnaise und geriebenen Karotten zubereitet.